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Heimweh- was tun?

20.07.2023 

Sommerferien heisst Lagersaison – auch bei Kovive. So befinden sich momentan gerade eine ganze Kinderschar in Camps oder bei einer Partnerfamilie, schlafen in fremden Betten und haben eine komplett andere Tagesstruktur als zuhause. Da kann es durchaus vorkommen, dass das eine oder andere Kind Heimweh bekommt.

Das ursprünglich schweizerische Wort, welches lange als Schweizer Krankheit galt, ist unterdessen ein weltbekanntes Gefühl. Egal in welchem Alter, Heimweh kann uns alle überkommen. So besingt es beispielsweise «Plüsch» (Und i ha heimweh nach de Bärge,...) und «Heidi» sehnt sich so sehr zurück zum Alpöhi in die Berge, dass sie anfängt zu schlafwandeln.

Plötzlich ist alles fremd

Heimweh heisst nicht zwingend, dass man sich nach einem bestimmten Ort sehnt. Das schmerzliche Vermissen wird auch ausgelöst, weil die Herkunftsfamilie weit weg ist, die gewohnten Abläufe fehlen, alles neu und anders ist (Essen, Bett, Umgebung) oder es auch einfach zu viele Eindrücke für den Tag waren. Anders ausgedrückt: Das Gewohnte gibt Halt und Sicherheit und kann fehlen, wenn es wegfällt, nicht mehr da ist.

Der Mensch fühlt sich laut Bowlby, einem britischen Psychiater, weniger sicher, sobald er sich alleine fühlt, etwa in einer unbekannten Umgebung oder einer unbekannten Gesellschaft. Je schneller das Fremde vertraut wird, desto weniger Heimweh hat man.

Eine Projektpartnerin beschreibt es folgendermassen: “Es ist ein wertvolles, aber heftiges Gefühl, das Heimweh, wenn man merkt, dass einem eine liebe Person fehlt.”

Heimweh ist normal

Selbst Erwachsene sind davor nicht gefeit, auch wenn kleine Kinder deutlich häufiger unter Heimweh leiden. Laut einer Umfrage aus den USA, haben 94% der Kinder, die in ein Ferienlager verreisen, mindestens an einem Tag Heimweh. Vor allem abends, wenn die Kinder nicht mehr abgelenkt sind, bestimmte Rituale fehlen, kommt das Vermissen.

Heimweh äussert sich in unterschiedlichen Formen: Während die einen still und heimlich ins Kissen weinen, bekommen andere Bauch- oder Zahnschmerzen oder leiden unter Appetitlosigkeit. Aber auch lautes Weinen und das Verlangen, sofort nach Hause gehen zu wollen, sind typische Äusserungen von Heimweh.

Vorbeugung gegen Heimweh

Auch wenn Heimweh nicht komplett vorgebeugt werden kann, gibt es einige Tricks, wie das Kind besser damit umgehen kann. Bevor wir ein Kind an eine Partnerfamilie oder in ein Lager vermitteln, fragen wir nach, ob das Kind schon einmal auswärts geschlafen hat. So können wir die folgenden Tipps allenfalls vorher der Herkunftsfamilie übermitteln.

1. Auswärtsschlafen üben

Bevor ein Kind eine ganze Woche auswärts im Lager schläft, kann es davor erste Nächte bei Freunden oder Verwandten verbringen und schon mal üben, wie es ist, nicht zuhause zu schlafen. Falls ein Schlafsack beim «grossen Abenteuer» mitgenommen werden soll, kann auch dieser daheim getestet werden. Vorteil: Er riecht ein wenig nach zuhause und ist nicht mehr ein weiteres, fremdes Element.

2. Kind einbeziehen

Anstelle das Kind einfach vor vollendete Tatsachen zu stellen, wo es in den Sommerferien hingeht, lohnt es sich, auf die Wünsche und Bedürfnisse einzugehen. Welches Sommerlager soll es werden? Wäre es möglich, dass ein «Gspändli» mitkommt und man so zumindest eine vertraute Person mit dabeihat?

3. Reise durchgehen

Das Fremde kann auch schon im Vornherein etwas vertrauter gemacht werden: Bilder vom Ort und der Unterkunft anschauen, besprechen, welche Aktivitäten anstehen und wer mit dabei ist. Das hilft, dass das Kind Vorfreude entwickeln kann und weniger Angst vor dem Aufenthalt hat.

4. Gemeinsam Koffer packen

Den Koffer packen und dem Kind anbieten ein Erinnerungsgegenstand (Lieblings-T-Shirt, Plüschtier oder Fotos) mitzunehmen, hilft ebenfalls gegen den «Sommerlagerblues». Auch im vornherein können schon über die Ängste und Heimweh geredet werden.

5. Wenig Kontakt

Weniger ist mehr: Durch den ständigen Kontakt wird das Heimweh meist nur verstärkt, vor allem an den ersten Tagen. Kovive rät also möglichst kein Kontakt zu haben, denn die besorgten Anrufe von Mama oder Papa können das Kind verunsichern und der häufige Kontakt erschwert es dem Kind, sich auf die neue Umgebung einzulassen und sich zuzutrauen, auch ohne Eltern klarzukommen.

Das gilt übrigens für jedes Alter: Lieber nur an Wochenenden mit alten Freunden telefonieren und sich ansonsten auf den neuen Ort einlassen, neue Freunde finden und so die Heimwehphase überwinden.

6. Ermuntern und Vertrauen schenken

Schon im Vorfeld können Eltern dem Kind das Gefühl geben, dass es das schafft. Also weniger Sätze wie: «Wenn du Heimweh hast, können wir dich jederzeit abholen», dafür mehr «Ich freu mich schon darauf, wenn du mir nach dem Lager erzählst, was du alles Tolles erlebt hast».

Tipps gegen Heimweh

Uns ist wichtig, dass die Kinder mit ihren Emotionen ernst genommen werden und diese nicht kleingeredet werden. Anstatt mit «Heimweh ist doch ganz normal, deswegen musst du doch jetzt nicht heulen», leiten wir unsere Betreuungspersonen an, dass sie liebevoll auf das Kind eingehen, es trösten und dabei unterstützen, dieses Gefühl zu durchleben und wahrzunehmen. Folgende Tipps haben sich hierbei als nützlich erwiesen:

Trickkiste gegen Heimweh

• Ablenkung aller Art

• Geschichte vorlesen oder selber lesen lassen

• Tee trinken

• Spaziergang machen

• Zeichnungen malen

• Kinder untereinander helfen lassen

• Das Kind fragen, was es braucht, damit der Schmerz nicht so schlimm ist

• Lieblingssong abspielen

• Nach der Motivation des Lagerbesuchs fragen

• Einfach nur für das Kind da sein

• Heimweh-Medizin: Egal ob ein Bonbon oder ein Schluck «Heimweh-Sirup», wenn Kinder daran glauben, kann es helfen

• Kuscheltier oder Kissen von zuhause (am besten ungewaschen, damit es nach zuhause riecht)

• Hörbuch oder Buch, das auch zuhause beim Einschlafen hilft

• Tagebuch oder Briefe: Gefühle und Erlebnisse können so festgehalten und verarbeitet wer-den

• Auf Stärken des Kindes eingehen

Kovive fragt bei der Anmeldung auch nach den Stärken, Interessen und Ressourcen der Kinder und gibt diese den Betreuungspersonen weiter. Dadurch können sie das Kind erinnern, dass es vieles schon geschafft hat.

So erzählt eine Kovive-Lagerleiterin: «Es waren einige Kinder mit im Camp, die insbesondere abends mit Heimweh zu kämpfen hatten. Solche Situationen finde selbst ich nicht immer leicht auszuhalten. Das gemeinsame Ausarbeiten von Strategien und der Austausch im Team hat geholfen, damit umzugehen.»

Die Heimweh-Kinder können im Kovive-Camp in den allermeisten Fällen getröstet und mit Geschichten, Spielen und anderen Gedanken abgelenkt werden. Ein bestärkendes Erlebnis für die Kinder und die Leitenden. So lernt das Kind nämlich, mit dem Heimweh umzugehen, es zu überwinden und sich seinen Ängsten zu stellen. Daraus gewinnt es Selbstvertrauen und Resilienz.

Wenn es gar nicht geht

Es gibt keine Regel, ab wann Kontakt zu den Eltern oder der Bezugsperson hergestellt werden soll. Jedes Kind ist individuell und hat einen anderen Hintergrund. So kann es auch kontraproduktiv sein, ein Kind nach Hause gehen zu lassen: Wenn die Eltern beispielsweise keine Zeit zur Betreuung haben, wird das Bedürfnis nach Beziehung noch weniger gestillt, weil das Kind stundenlang alleine zuhause verbringen würde.

Wichtig ist vor allem eins: Einfühlsam mit dem Kind und seinen Ängsten umzugehen. Das gilt sowohl für Lagerleitende oder Partnerfamilien als auch für die Herkunftsfamilie. Denn Fremdsein will geübt werden.

Wenn alle Unterstützungsmassnahmen nicht greifen, und ein Kind nur noch leidet, kann ein Abbruch die richtige Lösung sein, sodass das Wohl des Kindes gewährleistet werden kann. Es ist wichtig, dass sich das Kind verstanden und gut aufgehoben fühlt und es kein Trauma erfährt. Hierbei ist eine gute Abwägung zentral. Absprachen mit Fachpersonen können hilfreich sein.

Resilienz stärken durch Heimweh

Resilienz ist eine wichtige Kompetenz, die das Kind erst erlernen muss. Eine gute, sichere Beziehung zur Bezugsperson, das Erlauben von positiven und negativen Gefühlen und das Ermutigen, Neues zu wagen sind Voraussetzungen, dass das Kind immer weiter lernt, mit schwierigen Situationen klarzukommen. Auch wenn das Elternherz vielleicht erstmal weich wird, wenn das Kind an Heimweh leidet, ist es für das Kind eine gute Gelegenheit, die Reise als Chance zu sehen, um das Getrenntsein von den Eltern zu üben. Wichtig ist nur, dass sie damit nicht komplett alleine gelassen werden, sondern bei der begleitenden Erwachsenen Hilfe, Methoden und Ablenkung holen können.

Indem unsere Campleitenden und Partnerfamilien die Kinder genau dabei unterstützen, helfen sie, dass diese Resilienz aufbauen können. Gerade Kindern aus sozial oder finanziell benachteiligten Familien hilft es so ihr Selbstvertrauen zu stärken.

«Es ist immer wieder schön, dass die meisten Heimweh-Kinder, welche getröstet wurden und mit Geschichten, Spielen oder anderen Gedanken vom Heimweh abgelenkt wurden, danach eine wunderbare Campzeit erlebt haben.» - Kovive-Campleitende

In dem Sinne wünschen wir eine erlebnisreiche und schöne Urlaubszeit mit oder ohne Heimweh.