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Besser streiten: Wie Konflikte gut gelöst werden können

30.04.2024

Es passiert uns sowohl unter Erwachsenen als auch mit Kindern: Streiten zwischendurch ist etwas Natürliches und nichts Schlechtes, sondern kann Beziehungen sogar stärken. Entscheidend ist, wie die Konflikte ausgetragen werden. Dazu bieten wir in diesem Artikel einige Tipps. Gut streiten will nämlich gelernt sein...

Warum entstehen Konflikte?

Konflikte entstehen dann, wenn sich die Bedürfnisse, Meinungen, Wahrnehmungen oder Ziele zweier oder mehrerer Personen grundsätzlich unterscheiden. Der/die Erwachsene möchte beispielsweise, dass das Kind jetzt endlich aufräumt - das Kind möchte aber weiterspielen. Das Bedürfnis nach Ordnung der erwachsenen Person und das Bedürfnis nach Spielen des Kindes können so zum Konflikt führen. Aber auch Missverständnisse oder eine unklare Kommunikation können zu Streitpunkten werden. Zusätzliche Faktoren wie Gereiztheit, Müdigkeit, Hunger oder Stress können dazu führen, dass aus einem kleinen Konflikt schnell auch ein grösserer Streit entsteht.

Die Entwicklungsphasen eines Kindes und was sie mit Konflikten zu tun haben

Je nach Entwicklungsphasen des Kindes, gibt es unterschiedliche “Konfliktherde”. Während ein Baby seine Bedürfnisse noch komplett ohne Worte äussert, sieht das bei Kleinkindern schon anders aus. 2-3-Jährige durchleben einen kindlichen Egozentrismus und sind damit im typischen “Trötzli-Alter”. So kann es durchaus vorkommen, dass sich das Kind heulend im Supermarkt auf den Boden wirft und lauthals den Schokoriegel fordert.

Mit ungefähr vier Jahren lernen Kinder dann sich in die Perspektive eines anderen zu versetzen und können immer besser verstehen, warum Erwachsene zu bestimmten Forderungen “Nein” sagen. Als Teenager wird dann alles in Frage gestellt, neue Grenzen gesucht, sich ausprobiert und die Identitätsentwicklung ist gerade in dieser Zeit sehr intensiv (Quelle: Sozialmagazin 11-12/2013, nach Kitty Cassée).

Unterschiedliche Entwicklungsphasen bergen somit unterschiedliche Konflikte in sich. Ein gegenseitiges Verständnis und Erklären helfen, dass Lösungen, Kompromisse und Wege gefunden werden können, die für beide Seiten stimmen.

Konflikte sind nichts Schlechtes

«Streit ist eine sehr wertvolle Quelle für das Selbstwertgefühl und die sozialen Kompetenzen des Kindes», sagt der Familientherapeut Jesper Juul. Konflikte sind also nichts Schlechtes, es kommt nur darauf an, wie sie gelöst werden. Zum Streit kommt es häufig, weil die Bedürfnisse vom Kind (und der erwachsenen Person) jeweils selbst wahrgenommen und eingefordert werden, aber nicht übereinstimmen. Wie diese Bedürfnisse geäussert werden, ist jedoch verhandelbar: Es muss nicht schreiend, aggressiv oder verletzend erfolgen - das können Kinder und auch Erwachsene lernen.

Übrigens, streiten ist etwas Alltägliches / Normales und gehört zum Kinderleben dazu. Kinder streiten sich durchschnittlich alle 20 Minuten untereinander: Sie “trainieren dabei wichtige Fähigkeiten fürs Leben, zum Beispiel, Kompromisse zu finden», sagt Sarah Zanoni, Pädagogin und Coach.

Kinder vor jeglichen Konflikten zu schützen ist also weder machbar noch sinnvoll. Auch von streitenden Eltern können Kinder viel lernen – hier ist es aber auch wichtig, auf welche Art und Weise sie streiten. Wichtig ist, dass die Erwachsenen sich nicht persönlich angreifen, respektvoll und konstruktiv streiten.

12 Tipps für eine gute Konfliktbewältigung

Kinder können trotzig und stur sein, oder mit einem anderen Verhalten bei Erwachsenen etwas auslösen, dass auch sie sehr emotional werden. Hier kommen unsere Tipps, wie gutes Streiten funktionieren kann.

1. Grundbedürfnisse zuerst befriedigen

Wie oben schon erwähnt, haben unbefriedigte Grundbedürfnisse wie Hunger, Durst oder Müdigkeit oft eine Auswirkung, wie gut wir die Konflikte klären können. Kindern und Erwachsenen hilft es da oft, erstmal die Grundbedürfnisse zu stillen, um unnötigen Zoff zu vermeiden. Wichtig zu wissen: Kinder sind je nach Entwicklungsstand noch nicht in der Lage zu benennen, dass sie zum Beispiel zunächst etwas essen müssen.

2. Tief durchatmen und Zeit schaffen

Wenn man im Streit mit dem Kind selbst am liebsten schreien würde, ist es ratsam, erst einmal tief durchzuatmen und auf 10 zu zählen. Auch kurz aus dem Zimmer zu gehen, kann helfen, die eigenen Emotionen zu stabilisieren. Diese Unterbrechung im Streit hilft, dass man nicht blind reagiert und danach vielleicht bereut, was man gesagt oder getan hat. Auch das kann dem Kind kommuniziert werden: “Ich brauch kurz 5 Minuten, um mich zu beruhigen. Ich werde dir dann antworten”.

3. Zuhören, Nachfragen, Ich-Botschaften

Wirklich zuzuhören heisst, in Gedanken nicht bei den eigenen Argumenten, Bedürfnissen und Gefühlen zu sein, sondern sich aktiv auf das einzulassen, was das gegenüber mitteilt. Ratschläge wie “das ist doch nicht so schlimm, deswegen musst du doch nicht gleich weinen” sind nicht sehr hilfreich, denn alle Gefühle sind okay und sollten angenommen werden. Wenn das Kind gerade weint, kann man es fragen, warum es traurig ist. So fühlt sich das Kind verstanden und bekommt vermittelt, dass die Gefühle, die es fühlt, okay sind. Sobald man besser versteht, warum das Kind fühlt, was es fühlt, kann man dann in Ich-Botschaften die eigene Sicht, Gefühle und Bedürfnisse mitteilen. Unter dem Stichwort Gewaltfreie Kommunikation nach Rosenberg findet man viele weitere Tipps, wie Konflikte wertschätzend gelöst werden können.

4. Fehler passiert? Entschuldigen sollen sich auch die Erwachsenen

Es kann trotz Tipp 2 vorkommen, dass man nach einem stressigen Tag, anstatt liebevoll auf das Kind einzugehen, es laut oder wütend anschreit. Danach fühlen sich die meisten Menschen schlecht. Was tun? Auch Erwachsene dürfen Fehler machen und können sich danach entschuldigen. So kann das Kind lernen, dass auch die Erwachsenen nicht immer alles «perfekt» machen, und dass das okay ist. «Es tut mir leid, dass ich laut geworden bin. Ich hatte einen sehr strengen Tag, bin müde und wollte meinen Stress nicht an dir auslassen – trotzdem ist es passiert. Das tut mir leid.» Zudem verstehen Kinder besser, warum die Person so reagiert hat und nehmen es weniger persönlich.

5. Gewalt ist keine Lösung

Gewalt – weder physische noch psychische – ist keine Lösung! Meist passiert solches Verhalten aus Überforderung, Erschöpfung oder Aussichtslosigkeit. In solchen Situationen ist es wichtig, sich Unterstützung zu holen - für sich, aber auch für das Kind. Die Pro Juventute Elternberatung (058 261 61 61) oder auch Familienberatungsstellen von Gemeinden können weiterhelfen, um aus der Spirale von Drohen und Schimpfen rauszukommen.

6. Grenzen gehören dazu

Grenzen setzen ist nicht immer leicht. Der Grundsatz «Geht es den Eltern gut, geht es auch dem Kind gut» heisst, auch auf die eigenen Bedürfnisse zu achten und die eigenen Grenzen mitzuteilen. So lernt das Kind eine Frustrationstoleranz aufzubauen und merkt, dass alle Menschen Bedürfnisse haben und man Lösungen finden kann, möglichst alle davon auch zu befriedigen. Dieser Grundsatz bezieht sich übrigens nicht nur auf die Eltern – sondern auf alle, die Zeit mit Kindern verbringen.

7. Zurückweisungen? Beziehungsangebote schaffen

Ob Teenager oder wütendes Kind: Sie weisen manchmal Beziehungsangebote ab, wollen nicht reden oder verkriechen sich im Zimmer. Als Erwachsene*r ist es wichtig, zu versuchen, dies nicht persönlich zu nehmen (auch wenn das nicht immer ganz einfach ist), und trotzdem weiter Beziehungsangebote anzubieten.

8. «Ich hab dich trotzdem lieb»

Es gibt Verhalten, die von der erwachsenen Person nicht erwünscht sind. Beispielsweise kann das Kind ohne Helm Fahrrad fahren, obwohl ganz klar abgemacht war, dass der Helm angezogen werden muss. Anstatt mit Wut zu reagieren, kann man dem Kind das ungewünschte Verhalten aufzeigen, um ihm die Sicherheit zu geben, dass es trotzdem geliebt ist und nicht es selbst falsch ist, sondern das Verhalten unerbeten. «Zieh dir bitte den Helm an. Ich möchte, dass du dich an diese Abmachung hältst. Der Helm schützt deinen Kopf, falls du hinfallen würdest, deswegen haben wir diese Abmachung» klingt doch ganz anders als «Du bist so unzuverlässig und hörst nie zu. Zieh sofort deinen Helm an oder es ist vorbei mit Fahrrad-Fahren».

 9. Zeit rausnehmen für Entscheidungen

Nicht alle Entscheidungen kann die Bezugsperson sofort treffen. Manchmal möchte man vielleicht mit einer weiteren Person darüber reden, etwa mit dem/der Partner*in, einem/einer Freund*in oder einem Teammitglied. Oder man ist gerade hochkonzentriert. Was auch immer – es ist okay, nicht immer sofort eine Antwort zu haben.

Wichtig ist nur, dass auch ein klarer Zeitpunkt genannt wird, wann die Entscheidung mitgeteilt wird. Sonst läuft man Gefahr, alle fünf Minuten wieder danach gefragt zu werden. Schliesslich ist es ein normales Bedürfnis, eine Antwort auf eine Frage bekommen zu wollen.

10. Partizipation heisst nicht keine Grenzen

Nicht alle Entscheidungen müssen von den Erwachsenen allein getroffen werden. Partizipation ist ein wundervolles Mittel, gar nicht erst in Konflikte zu geraten. Egal, ob das Kind mitentscheiden darf, was es zum Mittagessen gibt, oder welcher Spielplatz angesteuert wird, die Bezugsperson hat vielleicht grad keine Präferenz, das Kind vielleicht schon.

11. Entscheidungen können nachvollziehbar gemacht werden

Manchmal gibt es aber auch Entscheidungen, die nicht vom Kind allein getroffen werden können. Ohne Jacke und Barfuss schlitteln gehen ist einfach keine Option. Anstatt einfach «Nein» zu sagen, kann auch diese Entscheidung begründet werden. Das kann helfen, dass das Kind besser damit klarkommt. Allerdings ist es kein Garant, dass es nicht doch zu Wut oder Trauer führt… und auch das ist okay.

12. Beziehung aufbauen und stärken

Langfristig lohnt es sich auch, die Beziehung zum Kind zu stärken. Eine stabile, gute Beziehung erleichtert den Umgang mit Konflikten, so dass die Auflösung oft einfacher wird. Konfliktfrei wird das Zusammenleben damit nicht – und das ist auch gut so.

Denn durch Konflikte können alle Beteiligten wachsen und dadurch kann sogar die Beziehung zum Kind gestärkt werden.